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Up North (Teil 1)

Wir, mein Bruder Ingmar und ich, tauschten Photokina und Apple-Keynote gegen ein rotes Kanu, unberührte kanadische Natur, ein Feuerwerk an Farben und Tierbegegnungen.
Mit vielen Paddelkilometern in den Armen und einer Menge an Eindrücken und Erfahrungen im Gepäck sind wir nun zurück. Es ist Zeit für den ersten Teil unseres Reiseberichtes.

Das Vorhaben: Eine Kanutour durch die kanadische Wildnis auf den Spuren der Abenteurer, die – vom Goldrausch gepackt – Ende des 19. Jahrhunderts zu Tausenden von Whitehorse flussabwärts auf dem Yukon nach Dawson City aufbrachen, um am Klondike River nach Gold zu suchen. Reich wurden dabei nur wenige.

Beim Kauf unserer Angelausrüstung in Whitehorse schauen uns erstaunte Blicke an, als wir von unserem Tourvorhaben berichten. Der späte Start in der zweiten Septemberwoche sei in Anbetracht der unmittelbar bevorstehenden kalten Jahreszeit ungewöhnlich. „End-of-Season“. Oder wie es unser Outdoor-Ausrüster Up North Adventures kurze Zeit später positiv ausdrückt: „Eine schöne Herbsttour! Ihr müsst euch freuen. Es kann euch passieren, dass ihr niemanden trefft.“

Wir kaufen für gut zwei Wochen Lebensmittel ein, verstauen alles in wasser- und geruchsdichten Tonnen und beladen unser Kanu mit der übrigen Ausrüstung. Der nasskalte Start im Regen kann unserer Vorfreude nichts anhaben. Endlich auf dem Wasser. Es ist glasklar und beeindruckend blaugrün gefärbt.

Vorbei geht es mit ordentlich Strömung an vereinzelten Hütten, die noch das Ufer säumen. Schon bald erstrecken sich dichter Nadelwald und schroff-sandige Steilhänge entlang des Flusses – verursacht durch die Erosion der vergangenen Jahrhunderte. Ein paar Paddelschläge später hebt ein Weißkopfseeadler seine Schwingen und quert wenige Meter vor uns den Fluss. Ein eindrucksvolles Tier. Sein Weibchen bleibt im Geäst sitzen und beobachtet uns neugierig. Natur hautnah! Jetzt sind wir endlich angekommen.

Die erste Nacht

Es ist schon spät. Wir finden eine einladende Halbinsel für unser Camp. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Wir bauen das Zelt auf. Ingmar versucht sich im Angeln. Wir fachsimpeln ein wenig über die richtige Wurftechnik – ohne Erfolg. Anschließend kriechen wir in unsere Schlafsäcke und lauschen den Geräuschen des Waldes. Hier ein Knacken, dort ein Rascheln. Es wird eine unruhige Nacht. Wir müssen uns erst an die neue Kulisse gewöhnen und werden morgens von springenden Fischen im strömungsarmen Seitenarm des Flusses geweckt.
Wieder auf dem Wasser verfolgt ein Biber kritisch unseren Paddelrhythmus.

Lake Laberge – Der Wind spielt sein Spiel

Gegen Mittag erreichen wir den Lake Laberge. Für die gut 50 Seekilometer von Süd nach Nord prognostiziert unser Yukon-Outdoor-Kompass zwei Tage. Grund ist die vergleichsweise geringe, bis gar nicht vorhandene Strömung. Außerdem sind wir vor häufig wechselnden und plötzlich auffrischenden Winden gewarnt worden.

Am ersten Tag ist davon nichts zu bemerken. Wir kommen auf der spiegelglatten Wasseroberfläche gut voran, besichtigen ein altes, verfallenes Indianerdorf, werfen noch einmal die Angel aus.
Gegen Abend legen wir an einer vielversprechenden Landzunge an, um nach einem möglichen Platz für die Nacht Ausschau zu halten. Wir haben Glück. Die Lage ist perfekt. Wie von Geisterhand weht uns plötzlich ein kräftiger Nordwind entgegen, Wellen entstehen. Die Schaumkronen hindern uns endgültig an einer Weiterfahrt.

Am nächsten Morgen dann plötzlich Südwind, kräftiger Südwind. Das ist unsere Windrichtung. Wir bauen aus zwei langen Treibhölzern, ein paar Spannleinen und unserem Tarp ein Segel, dass uns bequem einige Kilometer ohne Paddelschläge Richtung Norden verhilft. Der Wind nimmt weiter zu. Uns wird die Lage zu heiß. Wir legen an und warten. Als sich das Wasser beruhigt geht es weiter. Doch unsere Freude über das gute Vorankommen mit Segel ist nicht von langer Dauer. Der Wind schläft ein, um kurze Zeit später wieder aufzufrischen – diesmal aus nördlicher Richtung. Innerhalb weniger Minuten eine Winddrehung um 180 Grad, nicht lokal, sondern konstant für den Rest des Tages. So recht kann sich das der Segelflieger und Hobbymeteorologe nicht erklären. Ein ausgeprägtes Land-See-Windsystem, Temperaturunterschiede zwischen Land und Wasser also?

Wir kommen schlecht voran, jeder Meter ist mühsam, das Ufer schreitet nur langsam an uns vorbei. Wir legen an einer Bucht an, machen Pause und bauen bald das Zelt auf.
Ingmar liest aus dem Reiseführer vor. Schon zur Zeit des Goldrausches verlangten die extremen Windverhältnisse den Kapitänen der Schaufelraddampfer und zahlreichen kleinen Boote alles ab. Menschen verloren in starken Stürmen ihr Leben.

Am vierten Tag ändern sich die Windverhältnisse kaum. Wir wärmen uns zwischendurch immer wieder am Feuer. Wir machen es wie der Schriftsteller und Goldgräber Jack London vor über 100 Jahren: Trotz leichtem Regen und feuchtem Boden finden wir trockene Nadelzweige und Birkenrinde. Letztere erweist sich als perfekter Anzünder. Wir erwärmen Wasser und waschen uns zum ersten Mal die Haare. Was für ein Genuss!
Abends im Zelt werden wir von einem unüberhörbaren Knacken direkt neben unserem Zelt überrascht. Ein Bär? Es ist ein Baumstachler, der sich erschrocken auf einen Baum flüchtet, als ich aus dem Zelt krabbel.
Seine Vorliebe, die für uns unverzichtbaren Packtaschen aus Gummi, bringen wir sicherheitshalber im Zelt unter.

Am nächsten Morgen geht es früh um 7:30 Uhr los. Das Wasser ist still, der Wind weht leicht aus Süd. Wir erreichen inzwischen den nördlichen, deutlich ruhigeren Teil des Sees. Wir genießen die warmen Sonnenstrahlen und bestaunen den im Gegenlicht von der spiegelnden Wasseroberfläche aufsteigenden Nebel.
Das zähe Vorankommen der vergangenen Tage gleich zu Beginn unserer Tour zehrt an unseren Kräften – körperlich und mental. Wir müssen Dawson City pünktlich erreichen, haben nur einen Tag Puffer und liegen schon anderthalb Tage gegenüber der in unserem Reiseführer beschriebenen Tour zurück. Wir kennen die Geschwindigkeit auf dem weiteren Teil des Flusses nicht.

Das Seeende rückt an diesem Vormittag erfreulich schnell näher. Als die Bäume am Ende größer erscheinen als auf der gegenüberliegenden Seeseite atmen wir auf. Kurz darauf paddeln wir wieder auf dem Yukon und können uns über die schnelle Strömung freuen.
Tatsächlich schaffen wir es an diesem Tag auf über 90 Kilometer, sehen unseren sechsten Weißkopfseeadler und bauen das Zelt auf einer bewachsenen Sandbank inmitten eines riesigen Waldbrandgebietes auf. Die verrußten Baumstämme stecken wie Zahnstocher in der Landschaft. Die Atmosphäre ist beklemmend und das Ausmaß erschreckend. Wie lange die Natur wohl für die Regeneration benötigen wird?

Dauerregen und ein warmer Ofen

Regentropfen wecken uns am Morgen. Draußen ist es eiskalt. Unsere Lust aufzustehen hält sich in Grenzen. Den warmen Schlafsack verlassen, das nasse Zelt abbauen, das Kanu beladen. Wir stehen dennoch auf, wollen weiter kommen. Es beginnt leicht zu schneien.

Lange halten wir es nicht aus. Unverhofft finden wir im Big Salmon Village, einer verlassenen Indianersiedlung, eine intakte Schutzhütte. Das Feuer im Ofen brennt schnell, uns wird warm. Das Zelt, die nassen Klamotten und Schuhe beginnen zu trocknen. Wir machen es uns bequem, legen einen gemütlichen Lesenachmittag ein und beschließen, die Nacht in der Hütte zu verbringen.
Nach dem Erreichen des Seeendes sind wir wieder einmal darüber erstaunt, wie schnell sich auch diesmal in der Natur die vermeintlich triste Situation zum Positiven wendet. Eine Zeit voller Überraschungen.

Hier geht’s weiter Richtung Norden zum zweiten Teil unseres Abenteuers.

Alle Fotos gibt es bei Flickr.

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