Als wäre es gestern gewesen. Wenn ich mir die Bilder von unserem Fjäll Äventyr anschaue, bin ich in Gedanken wieder dort. Im Reich der Rentiere stapfe ich durch feuchtes Moos – auf dem Rücken schweres Gepäck und an meiner Seite Anna, die zum ersten Mal mit mir hier unterwegs ist. Was vor vielen Wochen noch in Schweden begann, ist nun endlich fertig geworden: der Text über unsere Tour von Foskros nach Tänndalen.
Draußen hält der schwedische Nieselregel seit Stunden an. Es ist die Art von Regen, bei der man sich beim Wandern ständig fragt, ob man den Regenponcho auspacken soll oder nicht. Jetzt sitze ich im Warmen und habe den zweiten Saunagang hinter mir.
Der Sommer hat sich hier in Westschweden seit Tagen verabschiedet. Das Thermometer klettert kaum über zehn Grad. Doch wer im August zum Wandern nach Schweden ins Fjäll fährt, der tut das nicht wegen der Sonnenstunden. Anna und ich haben es uns im Ferienhaus meiner Eltern gemütlich gemacht und genießen entspannte Tage nach unserer neuntägigen Tour. Neun Tage, in denen wir das spätsommerliche Fjäll unterschiedlicher wohl kaum erleben konnten. Stürmisch-kalt blies uns der Wind auf den Hochebenen entgegen. Fast märchenhaft und idyllisch erlebten wir die Laub- und Nadelwälder. Regen und Sonne wechselten sich ab.
Der Start
Doch der Reihe nach. Unser erstes Fjällabenteuer beginnt in Foskros, an der südöstlichen Spitze des Långfjället. Beliebte Startpunkte für Touren auf dem südlichen Teil des Kungsleden Richtung Norden sind die weiter nordwestlich liegenden Orte Grövelsjön und Löfåsen. Wir haben uns bewusst für Foskros entschieden, um zumindest während der ersten Tage das Fjäll nur mit den Rentieren teilen zu müssen. Unser Plan geht auf.
Wir versorgen uns im ICA mit schwedischen Spezialitäten: Knäckebrot, Polarbröd, Käse und Schinken aus der Tube und eine Tüte Kanelbullars. Mit den leckeren Zimtschnecken wollen wir uns während der ersten Tage belohnen. Unsere Rucksäcke sind anschließend prall gefüllt: Zelt, Schlafsack, Luftmatratze, Kocher, Kameraausrüstung, jeweils eine Hose, zwei T-Shirts, Fleecepulli, Unterwäsche und Verpflegung für gut zehn Tage. Wiegen können wir unser Gepäck vor dem Start nicht mehr. Unser Auto stellen wir am Carpark in Foskros kurz vor Beginn der mit Kreuzen markierten Route für Schneemobile ab.
Unser erstes Tagesziel ist die etwa acht Kilometer entfernte Fiskebäcksstugan. Eine gute Distanz zum Einlaufen. Wir müssen uns an das Gepäck gewöhnen. Es braucht eine Weile, bis wir die optimale Position unserer Rucksäcke gefunden haben. Wir zurren hier und rücken dort. Der Weg führt uns anfangs durch lockeren Nadelwald. Später passieren wir die Baumgrenze und blicken über das weitläufige Fjäll.
Inzwischen haben wir unseren eigenen Rhythmus gefunden. Es geht langsam aber stetig voran. Wir sind froh, als wir die Hütte erreichen. Das Fleckchen Erde um die Fiskebäcksstugan ist wunderschön. Überall blüht das Heidekraut in sattem Violett.
»Die knochigen Birken wirken wie von Landschaftsarchitekten platziert und mit geschultem Auge gepflegt. Nichts davon ist der Fall. Designed by nature.«
Neugierig, aber mit sicherem Abstand schauen die ersten Rentiere vorbei. Wir müssen unsere Wasservorräte auffüllen und laufen zu einem nahegelegenen See. Das Wasser ist glasklar. Auf dem Rückweg finden wir erste Multebeeren. Zurück an der Hütte kümmert sich Anna um das Feuer während ich weiteres Holz hacke. Wir entscheiden uns für die Nacht in der Hütte und schreiben noch ein paar Zeilen ins Gästebuch.
Elchjagd und Multebeeren
Am nächsten Morgen starten wir erst am späten Vormittag und legen bereits nach drei Kilometern eine Pause ein. Abseits vom Weg entdecken wir einen Bach, der den sonst trockenen Boden mit Energie versorgt. Es hat hier oben seit Wochen nicht geregnet. Mit Ausnahme von ausgewiesenen Stellen ist an Feuermachen nicht zu denken.
Der idyllische Bach, der zur Abkühlung der Füße einlädt, ist nicht der einzige Grund für unseren ausgedehnten Zwischenstop. Überall springen die gelben Tupfer zwischen Heidekraut und Blaubeeren ins Auge. Es sind Multbeeren, die nur hier im Fjäll wachsen und nicht gezüchtet werden können. Für die Schweden ein echtes Geschäft. Später erfahren wir, dass es derzeit in den Dörfern nur zwei Gesprächsthemen gibt: Die bevorstehende Elchjagd und das Sammeln von Multebeeren.
Die erste Entscheidung
Am nächsten Tag ziehen dunkle Wolken auf. Ob es regnen wird, ist noch nicht genau abzusehen. Dennoch brechen wir früh auf, um auf dem Långfjället gut voran zu kommen. Auf die Routenoption über den Gipfel der Storvätteshägna verzichten wir aufgrund des damit verbundenen An- und Abstieges mit schwerem Gepäck. Stattdessen soll es querfeldein durch das Tal zwischen Storvätteshägna und Fosksjökläpparna gehen.
Vor zwei Jahren blickte ich bei einer Tageswanderung auf genau dieses Tal und nahm mir damals vor, das Tal zu queren. Doch ist das diesmal eine gute Idee? Mit den Regenwolken kommen auch Zweifel auf. Der Wind weht frischer. Das Gelände im Tal wirkt steinig und zerklüftet. Es wird einen Grund geben, weshalb der Wanderweg außen herum führt. Nach mehrmaligem Hin und Her entscheiden wir uns für das Abenteuer und verlassen den Weg Richtung Tal.
Wir überqueren einen Bach und suchen unsere Route über die Steinfelder. Die Mittagspause fällt kurz aus. Wir sind müde. Es beginnt zu regnen. Wir ziehen die Ponchos an und geben uns mit Salami und Polarbröd zufrieden.
Der Regen wird stärker und kommt mit kräftig-böigem Wind von hinten. Oben herum sind wir unter den Ponchos gut geschützt, doch über die nassen Hosen dringt Wasser in die Schuhe ein. Es wird ungemütlich. Nach gut drei Stunden erreichen wir das Ende des ersten Sees, das wir uns als Tagesziel vorgenommen haben.
Es hört auf zu regnen. Der Wind bläst weiter. Dunkel und tief ziehen die Wolken über uns hinweg. Wir bauen schnell das Zelt auf und kriechen in die warmen Schlafsäcke. Mich hält es dort nicht lange. Der bedrohlich wirkende Himmel und der Blick über die Seen locken zum Fotografieren. Ich steige auf einen Hügel, um eine bessere Perspektive zu haben.
Bis die Sonne untergeht
Am nächsten Tag werden wir von der Sonne geweckt. Ich stehe früh auf, um unsere nassen Klamotten auf einem großen Stein zum Trocken auszulegen. Als wir uns zwei Stunden später fertig machen, ist alles trocken. Wie wunderbar! Ich wasche mir die Haare mit kaltem Flusswasser. Anna ist vom dunklen Blau des Wassers fasziniert. Wie anders die Landschaft im Sonnenschein doch wirkt.
Es geht weiter. Ab Mittag können wir sogar im T-Shirt laufen. Der Pfad auf dem Långfjället verläuft angenehm, der Abstieg zum Ufer des Hävlingensees ist steinig und mit den Kilos auf dem Rücken umso anspruchsvoller. Wir überqueren den See an seiner schmalsten Stelle und befinden uns anschließend am Rande des Töfsingdalen Nationalparks. Der Wald wirkt wild und wie im Märchen. Nur einen geeigneten Zeltplatz gibt es hier nicht. Uns bleibt nur der mühsame Aufstieg in Richtung Baumgrenze. Das Stück zur Hütte am Slagusjön zählt zu den mühsamsten auf dem südlichen Teil des Kungsleden. Das erfahren wir allerdings erst später. Zwischendurch immer wieder ein Blick auf das GPS, das uns neben der Richtung, den Höhenmetern und der am Tag zurückgelegten Distanz auch die Stunden bis zum Sonnenuntergang anzeigt. Es sind noch zwei Stunden.
Schritt für Schritt geht es weiter. Es sind kleine Schritte und immer häufiger legen wir kurze Pausen ein. Als die Hütte in Sicht ist, klappt es besser. Beim Eintreffen auf der Hütte lernen wir Hellen und Ansgar aus Dortmund kennen. Wir haben ähnliche Pläne und werden uns in den nächsten Tagen noch häufiger treffen.
Ein Bilderbuch-Tag
Am nächsten Morgen waschen wir uns am Ufer des Sees bei blauem Himmel und ersten freundlichen Cumulanten. So könnte jeder Tag beginnen. Wir ziehen los und wärmen uns eine Stunde später in der bewirteten Storrödtjärnstugan wieder auf. Heute werden wir das Rogen Naturreservat erreichen.
Beim Blick auf die Karte rätseln wir über mögliche Zeltoptionen am Abend. Die Hüttenwirtin verrät uns, dass wir den Tandsjövålen überqueren müssen, um anschließend auf Trinkwasser und Zeltmöglichkeiten am Rogenufer zu treffen. Doch daraus wird nichts.
Das letzte Stück des Aufstiegs auf den Tandsjövålen kostet Kraft. Es ist schon spät. Uns ist klar, dass wir den Rogen nicht erreichen werden. Wir müssen uns immer wieder gegenseitig motivieren und legen schließlich die Rucksäcke ab, um nach einer Zeltstelle Ausschau zu halten. Wir haben Glück: 50 Meter unterhalb des Gipfels werden wir fündig. Uns bläst ein strammer Westwind entgegen. Unser Zelt, ein Hilleberg Nallo 2GT, steht wie eine Eins. Die Sicht auf das Rogen Naturreservat und die heute gelaufene Strecke ist atemberaubend und kaum zu glauben.
Kurze Zeit später schieben sich Wolken vor die tiefstehende Sonne. Ich schnappe mir die Kameratasche und steige auf den Gipfel. Und wieder habe ich Glück: Ein paar Sonnenstrahlen schaffen es noch und hüllen die gegenüberliegenden Berge in ein ganz besonderes Licht. Schnell stelle ich die Kamera ein: Abblenden, ISO-Wert auf 400. Den Graufilter brauche ich jetzt nicht mehr. Alle paar Minuten wechsle ich zwischen der 18mm und 35mm Festbrennweite, laufe noch ein paar Meter hinunter, um eine andere Perspektive und unser rotes Zelt im Bild zu haben.
»Ich bin im Glück, fotografiere und bestaune das Spiel von Sonne, Wolken und Landschaft. Die Farben wechseln minütlich. Für mich zählt der Abend zu den schönsten Momenten unserer Tour.«
Wenige Stunden später spähe ich verschlafen aus dem Zelt. Insgeheim hatte ich auf einen Sonnenaufgang gehofft. Dichte Wolken umgeben uns. Es beginnt zu regnen. Wir warten im Zelt. Als es aufhört, packen wir und steigen ohne richtiges Frühstück ab. Wir erreichen die Baumgrenze und haben beide den selben Gedanken: Wieder sind es die knochigen Birken, die uns auffallen. Wie Weggefährten scheinen sie uns zu begrüßen. Mit Müsliriegel und BiFi schaffen wir die sieben Kilometer bis zur Rogenstugan. Als der Gaskocher rauscht steigt die Laune augenblicklich.
Und täglich grüßt das Rentier
Im Naturreservat passieren wir zahlreiche Feuchtgebiete. Ausgelegte Holzbolen machen das Wandern zum Spaziergang. Wir nennen sie „Kilometer-Maker“. An diesem Abend gestaltet sich die Suche nach einem geeigneten Zeltplatz noch schwieriger. Wir stapfen über Grasbüschel, Wurzeln und Steine. Vergeblich! Der Boden ist uneben und feucht. Erst beim vierten Anlauf finden wir zwei Quadratmeter, auf dem wir unser Zelt aufbauen und müde darin verschwinden. Es knackt plötzlich direkt neben unserem Zelt. Hufe bewegen sich auf uns zu. Wir halten den Atem an. Als wir aus dem Zelt spähen, blicken wir in die verdutzten Augen einer neugierigen Rentierfamilie.
Vor uns liegen noch 30 Kilometer. Wir haben uns inzwischen gegen die längere Route nach Røros und für Tänndalen als Ziel entschieden. Cirruswolken ziehen auf, die langsam immer dichter werden. Ein verlässliches Zeichen einer Warmfront, die später auch Regen bringen wird. Wir packen unser Zelt zusammen. Zum Frühstück gibt es Blaubeeren, viele Blaubeeren.
In den nächsten Tagen kommen wir gut voran. Wir können unser Tagespensum drosseln, sind gut eingelaufen und haben immer wieder Glück mit dem Wetter. Wir übernachten an der Skedbro Fjällstuga und verbringen einen wirklich tollen Abend mit Hellen und Ansgar im Warmen – auf richtigen Stühlen am Tisch mit Whisky und Bier. Wer hätte das gedacht? Weiteres kulinarisches Highlight ist der Fisch, den uns Ansgar am nächsten Tag angelt. Leicht angebraten schmeckt er zusammen mit Kartoffelpüree und Thymian fantastisch.
Noch ein letztes Mal bauen wir unser Zelt im Regen ab und erreichen eine gute Stunde später eine wirklich kleine Schutzhütte. Das Feuer im Ofen brennt schnell. Wir kochen und wärmen uns vor dem bevorstehenden Aufstieg. Es ist der letzte Aufstieg unserer Tour. Oben angekommen blicken wir sprachlos über die Landschaft. Das Bild erinnert uns an die afrikanische Savanne – kurz nachdem Regen der Natur wieder Leben eingehaucht hat. Nur die Temperaturen passen nicht.
Als wir nach neun Tagen die ersten Häuser erblicken, schauen wir wehmütig zurück. Wir haben uns an den Rhythmus, das zu zweit Alleinsein in der Natur gewöhnt. Wir fühlen uns hier sauwohl. Ich könnte noch Tage weiterlaufen. Doch angesichts des bevorstehenden Dauerregens steigt auch die Vorfreude auf gemütliche Stunden im Warmen. Bilder anschauen, lesen und mit dem Text über unsere Reise beginnen. Ein schöner Abschluss. Eine tolle Tour. Nachmachen ausdrücklich empfohlen.
Alle Bilder der Tour gibt es auf Flickr.
Tour-Tipps
Anreise: Wer an eher wenig prominenten Orten starten möchte, reist am besten mit dem Auto an. Grövelsjon wird auch mit dem Bus z.B. von Mora angefahren. Nach Mora kommt man prima mit dem Zug. In Grövelsjon gibt es außerdem ausreichend Parkmöglichkeiten und die Fjällstation zum Übernachten.
Route: Wir haben uns neben einigen einsamen Passagen, teils querfeldein, für den Kungsleden entschieden. Wer auf dem Kungsleden bleibt, kann auch mit leichterem Gepäck wandern und die teils bewirteten Hütten des STF nutzen. Dort kann man nämlich Lebensmittel zu fairen Preisen kaufen und beim Wandern auf ein Zelt verzichten. Die Hütten liegen zwischen 15 und 20 Kilometern voneinander entfernt. Entsprechendes Kartenmaterial ist trotz der überwiegend guten Wegmarkierung Voraussetzung. Ein GPS ist im Sommer nicht zwingend erforderlich aber eine praktische Sache.
Reisezeit: Für uns ist der August der schönste Fjäll-Monat. Im Spätsommer / Herbst färbt sich das Fjäll rot-orange. Die Temperaturen fallen nachts nicht unter Null. Die Mücken werden weniger und waren nur bei Pausen etwas nervig.
Ausrüstung: Hier hat wohl jeder seine eigenen Vorlieben. Pflicht sind allerdings wasserdichte Wanderschuhe, um die feuchten Gebiete zu meistern. Bei uns war es noch verhältnismäßig trocken. Aber das kann auch ganz anders kommen. Wir haben die Gamaschen vergessen. Das gab bei Regen feuchte Füße.
Kameratechnik: Ich fotografiere mit dem X-System von Fujifilm: klein, leicht und eine tolle Bildqualität. Der Vorteil der X-Pro1: Belichtungszeit, -korrektur und Blende können von „außen“ eingestellt werden. Das geht auch mit kalten Fingern sehr gut. Die Kamera, zwei Objektive (18 und 35mm), ein paar Filter und fünf Akkus habe ich in einer wasserdichten Fototasche von König vor dem Bauch getragen. So war die Kamera immer schnell griffbereit.
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